Wie ihr ja wisst, hat sich diese Gruppe als Selbsthilfegruppe aufgelöst, nachdem in den vergangenen Jahren fast alle Teilnehmer in ihre Herkunftsländer zurückkehren mussten.
Daraus entwickelten sich dann meine Besuchsreisen zu den Familien im Westbalkan. Die erste Reise unternahm ich zusammen mit Church and Peace im Jahr 2015. Damals konnten wir schon etliche humanitäre Organisationen kennenlernen, die auch Hilfsprojekte für Romafamilien anbieten.
Meine vierte Reise war im Oktober 2022 und führte mich in vier Länder: Serbien (vier Familien), Kosovo (eine Familie), Albanien (eine alleinstehende Frau) und Mazedonien (zwei Familien). Mein Begleiter und Fahrer war Kemal Bajrushi. Er übersetzte auch und verhalf uns zu kostenlosen Übernachtungen bei seinen Verwandten. Kemal lebte einige Jahre mit seiner Familie in Wetzlar, hat inzwischen sechs Kinder und kann sich mithilfe des von uns gesponserten Autos durch Transport und Entrümpelungsarbeiten über Wasser halten.
Wir waren im Norden Serbiens, in Novi Sad, der zweitgrößten Stadt Serbiens mit 500.000 Einwohnern und dann auch in dem nahegelegenen Roma-Slum Rit mit 5000 Bewohnern, die meist aus dem Kosovo stammen, sog.“displaced persons“ aus dem Kosovokrieg 1999.
Wellblechhütten und Müllhalden mit winkenden Kindern trieben uns die Tränen in die Augen. Wir besuchten dort Senada mit ihrer Familie, die in den Startlöchern standen, um zum dritten Mal in Deutschland Asyl zu beantragen. Inzwischen sind sie seit einem Jahr in Mecklenburg-Vorpommern und hoffen auf ein Bleiberecht. Im Sommer 2023 besuchte ich sie dort in der Nähe von Neubrandenburg. Nach sieben Monaten bekamen sie endlich „Transfer“ und die dazugehörigen Sozialleistungen. Bei einer Familie mit sechs Personen kommt da schon ein guter Betrag zusammen.
In Belgrad lebt Kemal in einem Romaviertel am Rande der Stadt. Dort gibt es aber zumindest Häuser aus Stein, nahebei allerdings wieder kleinere Slums. Dort half Kemal vor allem in der Coronazeit, indem er zusammen mit Hilfsorganisationen Lebensmittel u.a. dorthin brachte. Auch einem Nachbar, der im Messie-Chaos versank, half er unentgeltlich zusammen mit seinen Freunden beim Entrümpeln und Saubermachen.
Im Süden Serbiens besuchten wir Familie Jovic. Diesmal war nur Tamara mit ihren inzwischen vier Kindern da. Ihr Ehemann Daniel, ein Trompeter, war auf einer Tour mit seiner Band. Die Familie ist umgezogen, und ihr Wohnzimmer sah recht hübsch aus. Aber im Bad / Toilette war ich schockiert über die rostigen Geräte. Sie flüsterte Kemal zu, dass sie Geld für eine Waschmaschine bräuchten.
Sie traute sich nicht, mir das direkt zu sagen. Sie wollte nicht betteln. Damals konnten wir ihr das benötigte Geld noch schicken.
Im Kosovo lebt Florim mit seiner Familie und anderen Verwandten. Er konnte sich nach seiner Abschiebung 2016 u.a. mit unserer finanziellen Unterstützung ein ganz hübsches Haus bauen. Allerdings verdient er nur 300 €, sodaß er die regelmäßig notwendigen Medikamente für seine chronisch kranke Frau nicht bezahlen kann. Inzwischen konnte ich Daniel aus Laufdorf vom Laurentiuskonvent für eine Art finanzielle Patenschaft für Florims Frau gewinnen. Das ist sehr wertvoll. Herzlichen Dank an Daniel und seine Familie !
Weiter ging es nach Albanien. In Tirana trafen wir Fllanxa, die trotz ihrer schweren Behinderung vor einigen Jahren aus Sachsen abgeschoben wurde. Jahrelang konnte unsere Verein ihre Miete bezahlen. Dies geht nun nicht mehr. Aber sie ist aktiv und hat sich einen Anwalt genommen, um mit Erfolg ihre Rechte einzuklagen. Sie schreibt mir manchmal und sagt, es gehe ihr gut.
Auf dem Rückweg fuhren wir durch Mazedonien und lernten das Roma-Viertel von Bitola kennen.
Dort hatte Nazmije gelebt, eine Frau mit drei Kindern, bevor sie im November 2021 in Deutschland, in Gießen um Asyl gebeten hatte. Leider wurde sie ebenfalls Ende Oktober 2022 abgeschoben, zusammen mit ihrer Tochter Medina, die schon seit Jahren unter einen schweren chronischen Erkrankung leidet.
Ihr hätten eigentlich „Abschiebehindernisse wegen Krankheit“ zugestanden werden müssen. Nach der aus unserer Sicht ungesetzlichen und unmenschlichen Abschiebung bemühten wir uns, Nazmije und ihrer Tochter die Wiedereinreise zu ermöglichen. Nach sieben langen Monaten gelang dies endlich, zu einem Zeitpunkt, als Medina schon so krank war, dass mit dem Schlimmsten zu rechnen war.
Direkt nach ihrer Ankunft im Juni 2023 brachten wir sie in die Universitäts-Kinderklinik, wo sie monatelang behandelt wurde. Diesmal hoffen wir zusammen mit Herrn Schütze als engagiertem Anwalt eine Aufenthaltserlaubnis für Mutter und Tochter zu erreichen. Mit Nazmije bin ich in regelmäßigen Kontakt, der schon recht freundschaftlich geworden ist.
Eine weitere Familie lebt in Nord-Mazeonien, die Familie von Goran. Auch in diesem Ort, Kriva-Palanka ganz im Westen des Landes, gibt es ein eigenes ärmliches Roma-Viertel. Diese Familie war einige Jahre in Deutschland und lebte in Braunfels. Leider wurden sie 2016 abgeschoben. Im November 2022 wollten sie unbedingt wieder einreisen. Die Mutter ist chronisch krank und benötigt ebenfalls ständig Medikamente und ärztliche Behandlung, die sie nicht bezahlen können.
Ich riet ihnen ab, aber sie ließen sich nicht von ihrer Idee abbringen. Nach nur wenigen Monaten erfolgte die nächste Abschiebung. Auch dieser Familie können wir leider gar nicht mehr helfen. Meine finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten für die Familien im Westbalkan sind total reduziert. Allein durch einige Vorträge über meine Reisen und das Schicksal der Familien dort konnte ich etwas Geld organisieren.
Im ersten Halbjahr 2023 konnte ich in Wetzlar (Flüchtlingshilfe), Gießen (Ausländerbeirat), Frankfurt (Romaverein) und Wethen-Diemelstadt (Laurentiuskonvent) immerhin einige hundert Euro als Spenden bekommen, die ich sofort an die Familien weiterleitete. Seither ist kein Geld mehr geflossen. Bitten um Holz für den Winter konnte ich leider nicht nachkommen. Das ist schon bitter.
Außer den beiden oben erwähnten Familien, die derzeit wieder in Deutschland leben, kann ich niemanden mehr (finanziell) unterstützen.
Ich habe die Idee, dass wir eine Filmreihe mit Filmen über Roma/Sinti organisieren könnten. Es gibt sehr gute Dokumentationen, aber auch Spielfilme, die unterhaltsam und informativ zugleich sind.
Auch könnten wir ein hervorragendes Trio einladen (Akkordeon, Geige und Baß), die tolle Musik machen. Ich hatte die Gelegenheit, sie kürzlich in Oberursel beim Gedenken am 9. November, diesmal an Roma und Sinti zu erleben.
Wetzlar, den 25.11.23 Hilke Folkers